Brennpunkt: Frauen in der Covid-19-Pandemie
Stellungnahme des Frauennetzwerks in der Städteregion Aachen 18.01.2021 - Stellungnahme 18.01.2021
Die Covid-19-Krise schafft aus frauenpolitischer Perspektive keine neuen, sondern verschärft bekannte Probleme: finanzielle Gräben werden größer, die Verteilung bezahlter und unbezahlter Arbeit wird ungerechter, die Kinderbetreuung immer lückenhafter. Das hohe Maß psychischer und physischer Belastung für Mutter/Vater und Kinder, z.B. aufgrund von Kontaktsperren, eingeschränkten Freizeitmöglichkeiten, engen Wohnverhältnissen, finanzieller Sorgen und Zukunftsangst führt zu Überforderung und Einsamkeit. Alleinerziehende sind von diesen Problemen in besonderem Maße betroffen, wie eine Studie der Bertelsmann Stiftung bestätigt. Von Gewalt betroffene Frauen finden in der Isolation nur schwer den Weg zu Hilfeleistungen. Sexarbeiterinnen leiden unter einem weitgehenden Berufsverbot – in vielen Fällen ohne Anspruch auf Kompensationsleistungen.
Arbeiten und Finanzen
Die Auswirkungen der Corona-Pandemie sind auch am Arbeitsmarkt deutlich zu spüren. Der wirtschaftliche Einbruch trifft die Branchen unterschiedlich stark. Frauen als Erziehende und Frauen in systemrelevanten Berufen stehen hinsichtlich der familiären und finanziellen Belastungen seit Monaten stark unter Druck.
Frauen und deren Familien sind massiv von Entgeltverlusten betroffen
Frauen arbeiten häufiger in Teilzeit als Männer und auch häufig in Branchen mit geringerem Verdienst. Da sich das Kurzarbeitsgeld nach dem Nettoentgeltausfall richtet, erhalten Frauen, aufgrund des häufig geringeren Verdienstes, in einem geringeren Umfang Kurzarbeitsgeld. Ebenfalls spielt hier auch noch die gewählte Steuerklassenkombination III/V bei verheirateten eine große Rolle. Zudem arbeiten Frauen häufiger in Branchen, in welchen das Kurzarbeitsgeld nicht vom Arbeitgeber weiter aufgestockt wird. Aufgestockt wird vor allem in den tariflich geregelten und häufig männerdominierten Bereichen Maschinenbau, Metall- oder Elektroindustrie. Hier ist es wichtig, dass Frauen und auch Arbeitgeber Informationen über Aufstockungsmöglichkeiten des Kurzarbeitsgeldes erhalten. Es ist durch die Aufnahme einer Nebenbeschäftigung möglich, das Einkommen aus Kurzar-beitergeld bis zu 100 Prozent des vorherigen Entgelts aufzustocken. Ebenfalls wichtig ist es über die erleichterten Zugänge zur Grundsicherung, aber auch Kinderzuschlag, Wohngeld und weitere externe familienunterstützende Leistungen zu informieren. Viele Informationen sind u.a. auf der Internetseite des Jobcenter Städte-Region
Aachen www.jobcenter-staedteregion-aachen.de zu finden. Hier ist es wichtig, dass die Informationen noch mehr verbreitet werden, z.B. auf den Internetseiten der Städte und Gemeinden.
Einbußen durch Wegfall von Minijobs
Üben Frauen einen Minijob aus besteht kein Anspruch auf Kurzarbeitsgeld, da sie nicht in die Arbeitslosenversicherung einzahlen. Der Minijob wird in der Grundsicherung gerne beim beruflichen (Wieder-)Einstieg als ersten Schritt in den 1. Arbeitsmarkt gesehen. Diese Möglichkeit steht aufgrund des aktuellen Lockdowns nur noch in sehr begrenztem Umfang zur Verfügung. Es ist wichtig, dass diese Frauen über alternative Beschäftigungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten informiert werden, da besonders betroffene Branchen voraussichtlich kurz- bis mittelfristig Personal abbauen.
Finanzielle Situation von Selbständigen
Die finanzielle Situation von vielen Selbständigen hat sich drastisch verschlechtert, weil sie durch die Corona-Krise einen Großteil der Aufträge beziehungsweise der Kundschaft verloren haben. Die Grundsicherung durch Arbeitslosengeld II steht auch Selbstständigen, Freiberufler_innen und Unternehmer_innen in der aktuell schwierigen Situation offen, wenn sie die Voraussetzungen erfüllen. Es ist wichtig diese Informationen betroffenen Personen über verschiedene Kanäle leicht zugänglich zu machen.
Systemrelevante Berufe
Der Frauenanteil in systemrelevanten Branchen ist überproportional (ca. 60 Prozent). In pflegerischen, erzieherischen, sozialen Berufen sowie im Verkauf und im Reinigungsgewerbe arbeiten mehrheitlich Frauen. In diesen Branchen sind Arbeitsbedingungen und Entlohnung bisher unterdurchschnittlich. Durch die Pandemie nimmt die Arbeitsbelastung in diesen Bereichen noch weiter an.
Bessere Arbeitsbedingungen in systemrelevanten Berufen ermöglichen
Die Pandemie macht deutlich, dass es Zeit ist über eine Neubewertung gesellschaftlich notwendiger Arbeit nachzudenken. Eine Lohnlücke in Berufen, die mehrheitlich von Frauen ausgeübt wird, ist nicht hinnehmbar. Applaus alleine reicht nicht. Es muss dafür Sorge getragen werden, dass Beschäftigte in diesen Berufen nicht unter ständigem Zeitdruck, Personalmangel und Überlastung leiden.
Home-Office und Kinderbetreuung
Die Ergebnisse einer Umfrage des Frauennetzwerks in der Städteregion Aachen, haben gezeigt, dass Mütter in der Corona-Krise zu 70 Prozent, also in einem überwältigenden Maße, die Betreuung ihrer Kinder übernommen haben. Home Office wurde zur Beibehaltung der Erwerbsarbeit ausgebaut und eingerichtet.
Home-Office darf keine selbstverständliche Ersatzlösung für funktionierende und qualitativ hochwertige Kinderbetreuung sein. Kinderbetreuungsangebote sind nach wie vor essentiell für Frauenerwerbstätigkeit und müssen konsequent weiter ausgebaut werden. Ein einheitliches und integratives Konzept, das alle Altersstufen mit berücksichtigt, sollte von den Kommunen verfolgt werden.
Mobile Arbeit ermöglicht Flexibilität für Familien
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf lässt sich deutlich vereinfachen, wenn nicht an jedem Werktag lange Fahrten unternommen werden müssen. Auch in Tagesrandzeiten können Väter oder Mütter von zu Hause aus notwendige Arbeitsauf-träge erledigen, so dass die Tagesabläufe besser an das Familienleben angepasst sind. Die Kommune sollte als Arbeitgeberin hier Vorbildcharakter haben.
Durchgängiges Home-Office sollte nicht zum Standard werden
Obwohl eine Ergebnis- statt einer Präsenzkultur wünschenswert ist, zeigen Studien nach wie vor, dass berufliches Vorankommen vom Erscheinen einer Person abhängt und Netzwerken essentiell ist. Beides geht im häuslichen Umfeld nur begrenzt. Daher sollte Home-Office ergänzend und nicht vollumfänglich eingesetzt werden. Die Ausweitung des mobilen Arbeitens gilt es wissenschaftlich zu begleiten und auszuwerten.
Alleinerziehende
24 Prozent aller Familienhaushalte in Aachen sind Ein-Eltern-Familien – ca. 90 Prozent der Kinder leben überwiegend bei ihren Müttern. Corona bedeutet für Alleinerziehende eine deutlich stärkere Belastung als für andere Familien. Während Elternpaare sich die Verantwortung teilen können, müssen Getrenntlebende Kinderbetreuung, Arbeit und Alltag alleine managen.
Systemrelevante Ämter und Einrichtungen müssen erreichbar sein
Die durch die Pandemie entstandene große Verunsicherung führte zu einem verstärkten Beratungsbedarf. Gleichzeitig führt das hohe Maß psychischer und physischer Belastung für Mutter/Vater und Kinder zu Überforderung und Einsamkeit, was eine Studie der Bertelsmann Stiftung bestätigt. Alleinerziehende sind systemrelevant, ihnen gebührt unsere gesellschaftliche Aner-kennung. Die Sicherstellung einer niedrigschwelligen Erreichbarkeit von behördlichen Unterstützungsangeboten, ist – nicht nur für die Gruppe der Alleinerziehenden – notwendig. Dies betrifft Bereiche wie z.B. Familien- und Erziehungsberatung sowie Leistungs- und Berufsberatung. Da die zuständigen Behörden wegen Gesundheitsschutz teilweise nur eingeschränkt für einen persönlichen Kontakt zur Verfügung stehen, findet Kommunikation verstärkt schriftlich oder telefonisch statt. Dies kann für einzelne Zielgruppen und Anliegen schwieriger sein, als die persönliche Vorsprache. Es ist sicherzustellen, dass es Notfallkonzepte gibt, betroffenen Zielgruppen eine Lösung anzubieten. Es sollten offensiv alle Bürger_innen darüber informiert werden, dass sämtliche Behörden telefonisch, online und nach Terminvereinbarung auch persönlich unter Einhaltung des aktuellen Gesundheitsschutzes für die Bürger_innen erreichbar sind.
Teilhabechancen sicherstellen - Armutsrisiko verringern
Die Wahrscheinlichkeit in Armut zu geraten, ist für Alleinerziehende und ihre Kinder durch die Covid-19-Pandemie wesentlich größer als für andere Gruppen. Der Zugang zu Bildung für Kinder aus einkommensschwachen oder bildungsfernen Familien ist durch KiTa und Schulschließung deutlich eingeschränkt. Teilhabechancen und bestehende gesellschaftliche Unterschiede verstärken sich. Es bedarf einer geeigneten Infrastruktur, wie Unterricht auch zuhause stattfinden kann: Zugang zu stabilem Internet und mobilen Endgeräten sowie Medienschulungen für Elternteile und ein systemischer Blick der Lehrpersonen auf die Kinder und ihre Situation.
Zuverlässige einheitlich geregelte (Notfall)betreuung der Kinder
von Alleiner-ziehenden zu Coronazeiten Aufgrund von Kontakteinschränkungen bzw. -verboten bricht das familiäre, soziale Unterstützungssystem meist zusammen. Die verlässliche Kinderbetreuung ist für alle Eltern und im Besonderen für Alleinerziehende die Voraussetzung für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wenn diese zusammenbricht kann dies folgendes bedeuten: unbezahltes Freistellen, Stundenreduzierung, Arbeitsplatzverlust. Home-Office mit jungen Kindern ist kaum zu leisten, da sie permanent Ansprechpersonen brauchen. Mit Sorge sehen wir auch, dass gerade Kinder aus prekären Lebenslagen aus dem Blick geraten. Die Einsicht in die Notwenigkeit von Betreuungsmöglichkeiten auch während des Lockdowns ist positiv zu bewerten.
Häusliche Gewalt
Die Covid-19-Pandemie führt zu mehr häuslicher Gewalt: Quarantäne, Isolation und Zukunftsängste befördern ein Klima von Gewalt und Grenzüberschreitungen. Dabei kann es sich um Auseinandersetzungen zwischen zwei Erwachsenen handeln, aber auch um Übergriffe auf Kinder. Um Gewalt gegen Frauen in der Vielfalt ihrer Facetten wirksam entgegenzuwirken, sind folgende Maßnahmen unabdingbar:
Beratungsstellen, Hilfsangebote und Frauenhäuser brauchen eine auskömmliche und planbare Ausstattung und Finanzierung
Beratungsstellen zählen mit ihrer qualitativ hochwertigen Beratung zur Daseinsfürsorge der Kommune. Diese Hilfsangebote pauschal und auskömmlich auszustatten, muss selbstverständlich sein. Als letzter Zufluchtsort für von Gewalt betroffene Frauen stehen Frauenhäuser bereit. Sollten die Kapazitäten von Frauenhäusern nicht ausreichen, müssen die Kommunen für zusätzliche Unterbringungsmöglichkeiten sorgen.
Informationswege zu Hilfsangeboten identifizieren und öffentlich verbreiten
Hilfe kann nur wirken, wenn bekannt ist, wie sie erreichbar ist. Die Krise schränkt Informationswege und Möglichkeiten des Hilferufs ein: eine Frau, die keine Privatsphäre hat, kann auch nicht eigenständig recherchieren oder informelle Hilfewege nutzen (z.B. über ein Gespräch mit einer Erzieherin). Die Kommunen sollten hier verschiedene Wege der Informationsübermittlung unterstützen.
Frauen mit Migrationshintergrund und/oder Fluchterfahrung
Frauen mit Migrationshintergrund und/oder Fluchterfahrung sind es, die aufgrund von fehlender Technik bzw. Schwierigkeiten im Umgang mit dieser und aufgrund von fehlenden Sprachkenntnissen besonders schwer von der Covid-19-Pandemie betroffen sind. Die Wahrnehmbarkeit von Präsenzterminen bei Ämtern und Beratungseinrichtungen hat für diese Personengruppe eine besondere Bedeutung.
Niedrigschwellige Zugänge zu notwendigen Informationen erhalten und schaffen
Es gilt Präsenztermine unter Einhaltung von Hygienevorschriften so lang wie möglich durchzuführen. Die Teilnahme von Dolmetscher_innen an Präsenzterminen sollte ebenfalls ermöglicht werden. Sollten Präsenztermine nicht möglich sein, sollten bei Bedarf relevante Informationen in unterschiedlichen Sprachen zur Verfügung gestellt werden.
Schwangerschaft
Das Gesundheitssystem ist in Corona-Zeiten stark belastet. Darunter dürfen ungewollt Schwangere nicht leiden. Dazu gehört auch eine gesetzlich verankerte Beratungsleistung. Das Beratungsangebot zur Konfliktberatung in persönlichen Bera-tungssituationen, telefonisch oder digital konnte in der Aachener Region wie gewohnt stattfinden. Falls es erforderlich war, sind neue Wege in der Zusammenarbeit mit Praxen und Krankenkassen gefunden worden, um die erforderlichen Bera-tungsbescheinigungen und Kostenzusagen auszustellen. Bislang hat es keine Veränderung im Procedere bei den Schwangerschaftsabbrüchen in den dafür zugelassenen Arztpraxen und bei den Spätabbrüchen in den Kliniken gegeben.
Auch in schwierigen Zeiten muss das Recht auf einen sicheren Schwangerschaftsabbruch gewährleistet sein
Im Blick zu behalten ist, ob es Frauen gibt, die aufgrund der Corona-Pandemie und einer damit verbundenen höheren Hemmschwelle den Kontakt zu den Beratungsstellen nicht aufnehmen. Der Zugang zu Beratungsangeboten und Unterstützungsleistungen für ungewollt Schwangere und allgemein Schwangere muss weiterhin niedrigschwellig sein.
Prostitution
Die Covid-19-Pandemie verhindert die Ausübung von Sexarbeit weitgehend. Diese Frauen stehen vor gewaltigen Problemen: Wegbrechen der Einnahmen, fehlender Wohnraum und Absicherung.
Der Zugang zum Sozialversicherungssystem, besonders zu Krankenversicherung und Leistungen des Jobcenters muss für alle Sexarbeiterinnen im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen gewährleistet werden
Insbesondere in Zeiten des faktischen Berufsverbots müssen existenzsichernde Ersatzleistungen unbürokratisch und zeitnah ermöglicht werden. Gerade in der aktuellen Situation ist es immens wichtig, dass Frauen konkret unterstützt werden in Ausstiegssituationen durch Angebote von Wohnraum, erleichtertem Zugang zu Frauenhäusern und Schaffung von Ausbildungs- oder Arbeitsmöglichkeiten.
Angebot kostenloser Gesundheitsvorsorge inklusive kostenfreier Test zu Covid-19 und sexuell übertragbarer Krankheiten
In Zeiten, in denen Sexarbeit in der Pandemie erlaubt ist, benötigen Sexarbeiterinnen aufgrund ihrer Vulnerabilität, Zugang zu Gesundheitsleistungen. Kostenlose und regelmäßige Covid-19-Tests sollten aus Gründen des Infektionsschutzes Standard sein. Sachkundige und verstärkte Kontrollen durch Ordnungs- und Sicherheitsbehörden können dem Schutz der Sexarbeiter_innen und der Kund_innen dienen.
Implementierung eines städteregionalen/euregionalen Runden Tisches Prostitution und Menschenhandel
In der Euregio sollte über die Stadt- und Landesgrenzen hinaus ein regelmäßiger Austausch, z.B. über Abwanderungs- und Verschiebungstendenzen in der Sexarbeit innerhalb der Grenzregionen stattfinden (siehe Anmerkung).
Brennpunkt: Frauen in der Covid-19-Pandemie
Anmerkung: Träger des Kompetenzzentrums Frau und Beruf ist der Region Aachen Zweckverband. Gemäß der Satzung muss der Region Aachen Zweckverband einen politischen Beschluss erwirkt haben, um sich an einer Stellungnahme zu beteiligen. Im konkreten Fall richtet sich die Stellungnahme auch an die Politik, diese kann somit nicht die Stellungnahme per Beschluss genehmigen. Das Kompetenzzentrum selbst ist nicht befugt, sich an politischen Stellungnahmen zu beteiligen und kann diese daher nicht mittragen.